Frauen verlassen Infrastruktur schwache Gegenden wie z.B Brandenburg um sich neue Perspektiven zu suchen. Männer bleiben tendenziell eher frustriert sitzen. Da gibt’s mitunter Männerüberschuss. Kein Wunder, dass die Gesellschaft schrumpft wollen hoffnungsvolle junge Frauen mit ihren Jutesäckchen auf dem Fahrrad keine zornigen rechtsextreme Männer daten. Männer radikalisieren sich zunehmend, in sozialer Isolation allein in ihren dunklen Kämmerlein und denken sich, sie hätten ein Recht auf Frauenkörper. Dann versuchen sie, von Pickup-Artists Manipulationstechniken zu lernen, um Frauen für sich zu gewinnen, anstatt zu lernen, wie man ehrlich und authentisch Beziehungen aufbaut. Sie tauschen sich in Internetforen als sogenannte ‚Incels‘ aus, spinnen Vergewaltigungsfantasien und träumen von einer ‚Beta-Rebellion‘, einem Umsturz, der Vergewaltigung legalisieren und Frauen unterwerfen soll, die ihnen zunehmend unnahbar erscheinen. Es gab bereits reale Amokläufe mit Todesopfern, doch der maskulinistische Terror wird kaum thematisiert. Aus Maskulinismus ist eine gefährliche politische Kraft entstanden, die wir zu lange übersehen haben.
Susanne Kaiser hat diese Entwicklungen in ihrem Buch ‚Politische Männlichkeit‘ detailliert aufgearbeitet.
Patrick Catuz
Man könnte sich ja denken, dass es sich um ein paar isolierte Bürschchen handelt, die ihren Frust im Internet ablassen. Aber es gab ja auch tatsächlich Attentate, die sich auf Maskulinismus bezogen haben. Sind das Einzelfälle oder hat die Gesellschaft ein Männerproblem?
Susanne Kaiser
Die Gesellschaft hat ein Männerproblem. Es geht nicht um Einzelfälle, sondern um strukturelle Probleme, die in großen Teilen der Gesellschaft zu finden sind. Das zeigen nicht nur die Attentate, die ja extreme Fälle darstellen. In Deutschland können wir beispielsweise den Halle-Attentäter nennen, der zwar rechtsextrem und Verschwörungsideologe war, aber auch stark von der Incel-Ideologie beeinflusst war. Ähnlich gelagerte Fälle gab es auch in den USA und Kanada. Es geht um mehr als nur um einzelne Attentate. Wir sehen eine Art Zweckbündnis, eine Allianz aus verschiedenen extremen Gruppen, die zwar heterogen sind, aber durch gemeinsame Ziele verbunden sind.
Nehmen wir beispielsweise die Rechte: Hier finden wir alles von Rechtspopulisten bis hin zu Rechtsterroristen. Dann gibt es noch die Rechtsextremen, darunter auch alteingesessene Neonazis. Dazu kommen die sogenannten Neuen Rechten mit der Identitären Bewegung und anderen Gruppierungen. Allein dieser Bereich ist schon sehr heterogen. Hinzu kommen religiöse Hardliner, insbesondere evangelikale Christen in den USA, aber auch katholische Hardliner in Ländern wie Polen, Frankreich und Italien. Eine weitere Gruppe sind die Maskulinisten, wobei hier vor allem die ‚Incels‘ bekannt sind, aber auch Männerrechtler, die in Justiz und Politik Einfluss nehmen, und sogenannte ‚Pickup Artists‘, die manipulative Techniken verbreiten. All diese Gruppen greifen auf eine ähnliche Vorstellung von kruder männlicher Überlegenheit zurück und versuchen, eine ‚Male Supremacy-Ideologie zu verbreiten.
Patrick Catuz
Die machen dann die Pop Culture Seite der Medaillie?
Susanne Kaiser
Das machen inzwischen fast alle, vor allem die Neue Rechte hat sich darauf spezialisiert. Wir sehen einen Trend weg von den dunklen Tiefen des Darknets und den speziellen Foren der Incels hin zu einer breiteren Mainstream-Präsenz. Ein prominentes Beispiel ist Andrew Tate, der 2022 zu den zehn meist gegoogelten Personen gehörte. Er nutzt Plattformen wie TikTok, Twitter und Instagram, um seine Ideologie der Alpha-Männlichkeit, seine frauenfeindlichen Ansichten und seine kruden Vorstellungen zu verbreiten. Er ist äußerst beliebt bei Jungen im Alter von 13 bis 19 Jahren und hat eine riesige männliche Anhängerschaft, die sich von der Pubertät bis ins junge Erwachsenenalter erstreckt.
Patrick Catuz
Du sprichst von drei Hauptgruppen dieser politischen Konfiguration?
Susanne Kaiser
Die drei einzelnen Gruppen waren Rechte, Religiöse und Maskulinisten. Jede dieser Gruppen ist für sich schon sehr heterogen. Zwischen ihnen gibt es zwar kaum direkte Berührungspunkte, aber sie eint ein gemeinsamer Nenner: der Antifeminismus. Dieser zielt darauf ab, Frauen wieder unterzuordnen und ihnen einen gesellschaftlich untergeordneten Platz zuzuweisen. Das bedeutet auch, Frauen aus Machtpositionen zu verdrängen.
Patrick Catuz
Wie fassen wir sie zusammen? Als maskulinistische Terrorbewegung oder als Male Supremacy Bewegung? Welcher Überbegriff bietet sich an?
Susanne Kaiser
Das finde ich schwierig zu beantworten. Ich würde sagen, es handelt sich um eine autoritäre Bewegung, die aus vielen kleineren Bewegungen besteht. Ihr gemeinsames Ziel ist nicht nur die Restauration des Patriarchats, sondern ein umfassenderes System der Unterdrückung. Man könnte auch von einem ‚ideologischen Kitt‘ oder einem ’symbolischen Kit‘ sprechen, das diese verschiedenen Gruppen zusammenhält.
Allerdings gibt es innerhalb dieser Bewegung unterschiedliche Ziele. Während einige religiöse Gruppen die Familie als Schutzwall gegen einen vermeintlichen moralischen Verfall sehen, geht es anderen um die Sicherung weißer Vorherrschaft. Trotz dieser unterschiedlichen Interessen eint sie alle ein gemeinsames Feindbild: der Feminismus.
Patrick Catuz
Also ist es weniger eine homogene Bewegung, eher eine Politisierung von Männlichkeit durch viele Splitterbewegungen?
Susanne Kaiser
Es sind verschiedene Gruppierungen, die Zweckbündnisse eingehen, weil sie in großen Teilen die gleichen Ziele verfolgen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Wahl von Donald Trump, der von einer Allianz aus evangelikalen Christen, der Alt-Right-Bewegung, White-Supremacy-Anhängern, Incels und Pickup-Artists unterstützt wurde.
Allerdings bedeutet das nicht, dass Trump der ideale Kandidat für alle diese Gruppen war. Sein Lebenswandel entsprach beispielsweise nicht den Vorstellungen vieler evangelikaler Christen. Dennoch sahen sie in ihm ein Werkzeug, um ihre politischen Ziele zu erreichen. Dass Trump selbst kein besonders religiöser Mensch ist, war für viele von ihnen zweitrangig. Hauptsache, er erfüllte ihre politischen Ziele, wie man beispielsweise an den von ihm durchgesetzten Abtreibungsgesetzen sehen kann.
Patrick Catuz
Ein anderes Beispiel, dass du im Buch erwähnst, ist Höcke von der AfD, der daran appelliert, dass wir Männlichkeit wiederentdecken müssen, denn nur so werden wir mannhaft, und nur wenn wir mannhaft sind, werden wir wehrhaft. Warum appelliert rassistische Politik ausgerechnet an Männlichkeit?
Susanna Kaiser
Weil das Gut angeblich zusammengeht, der Antifeminismus macht sie anschlussfähig. Diese Idee, dass es feste Rollen für Männer und Frauen gibt und eine heterosexuelle Kleinfamilie zu schützen ist, wird oft mit rassistischen Theorien verknüpft. Anstatt offen nationalsozialistische Ideologie zu vertreten, wird diese oft verharmlost und für ein breites Publikum attraktiver gemacht.
Die ‚Ideologie des großen Austauschs‘, die Höcke damals bedient hat, ist ein Beispiel dafür. Sie bedient Ängste vor einer vermeintlichen Überfremdung und die Flüchtlingskrise wird dafür instrumentalisiert. Feminismus wird dabei als Ursache für gesellschaftliche Probleme dargestellt und als Türöffner für vermeintliche Gefahren aus dem Ausland. Damals hatten wir auch die erste Kanzlerin, der als Frau vorgeworfen wreden konnte, dass sie dies zulässt. Die Angst vor dem Aussterben der weißen Bevölkerung ist tief verwurzelt und wird immer wieder instrumentalisiert. Das geht gut über Männlichkeit. Es macht einen Unterschied ob man für die Nation ins Feld zieht, oder die eigene Familie. Das ist persönlicher, so lässt sich viel besser mobilisieren. Die AfD ist so mit größtenteils männlicher Wählerschaft in den Bundestag gezogen.
Patrick Catuz
Wahlstromanalysen sagen, dass Männer eher dazu tendieren, rechtsextrem zu wählen.
Susanne Kaiser
Wir bräuchten vielleicht neue Studien. Durch die Corona-Pandemie und die damit verbundene Querdenkerbewegung hat sich die politische Landschaft verändert. Es ist möglich, dass diese Ereignisse und die Querdenkerbewegung zu einer stärkeren Vernetzung unterschiedlicher extremistischer Gruppen geführt haben und dass auch mehr Frauen in diesen Bewegungen aktiv sind. Allerdings ist es weiterhin so, dass Männer eher dazu neigen, radikale Positionen einzunehmen.
Die neue Rechte hat erkannt, dass extreme und menschenfeindliche Positionen in der heutigen Gesellschaft weniger Zustimmung finden. Hier hat sie sich als sehr wandlungsfähig gezeigt. Daher versuchen sie, ein moderneres und freundlicheres Image zu vermitteln. Anstatt von ‚Rassen‘ sprechen sie nun oft von ‚Ethnien‘ oder ‚Identitäten‘ und befürworten einen sogenannten ‚Ethnopluralismus‘. Obwohl dieser Begriff anders klingt, basiert er auf ähnlichen biologistischen Argumenten und zielt letztlich auf die gleiche Trennung von Menschen ab. Die Rechte versucht hier freundlicher zu wirken, ohne jedoch ihre grundlegenden Ziele aufzugeben.
Patrick Catuz
Du gehst davon aus, dass der Backlash der letzten 20 Jahre viel mit dem Internet zu tun hat.
Susanne Kaiser
Das Internet hat als neue Öffentlichkeit zunächst enorme Möglichkeiten für marginalisierte Gruppen wie Frauen geboten. Ohne gläserne Decke war es ein Anarcho-Raum für alle. Sie konnten sich sichtbar machen, ihre Stimmen erheben und neue Räume erschließen. Das haben Minderheiten und auch Frauen für sich genutzt. Der Erfolg von Frauen in der Politik, wie beispielsweise die erste Bundeskanzlerin, zeigt, welches Potenzial in diesen neuen Medien schlummert.
Gleichzeitig haben sich auch andere das Internet zunutze gemacht, Incels und so weiter haben eine Gegenbewegung gestartet. Die Rechte hat ein Handbuch des Hasses erstellt und fährt orchestrierte Kampagnen. Hassrede, Mobbing und gezielte Angriffe gegen Frauen haben im Netz stark zugenommen. Frauen werden mit Vergewaltigungsdrohungen und Todesdrohungen konfrontiert. Es hat den Sinn, sie aus der Öffentlichkeit zu drängen. Dadurch werden viele Frauen eingeschüchtert und halten sich mit ihren Meinungen zurück. Frauen werden wieder häufiger Beauty-Influencer, sagen aber weniger ihre Meinung.
Das was die große Hoffnung war, ist zur großen Verdrängung geworden. Ein Grund für diese Entwicklung ist, dass die Behörden den Hass im Netz oft nicht ausreichend bekämpfen. In Österreich gab es den Fall Kellermayr – so weit geht das und trotzdem werden Behörden nicht aktiv. Durch die Angriffe müssen die betroffenen Personen ihre ganze Energie aufwenden, anstatt sich auf ihre eigentliche Arbeit konzentrieren zu können.
Patrick Catuz
Jordan Peterson liefert auch philosophisches Unterfutter für diese Bewegung – wobei komisch ist, dass er so gut ankommt, da alles sehr platt ist, was er präsentiert.
Susanne Kaiser
Er ist ja gar kein Evolutionsbiologe – viele tatsächliche Evolutionsbiologen wehren sich dagegen, dass er das Fach mit seiner biologistischen Hummer-Theorie vereinnahmt. Obwohl seine Argumentation oft oberflächlich und wissenschaftlich nicht haltbar ist, findet er bei vielen jungen Männern Zuspruch. Es ist erfolgreich, weil es einen Nerv trifft. Wir haben zu lange von alten weißen Männern gesprochen und vergessen, was mit den Jungen ist – auf die das aber eine große Anziehungskraft hat.
Hier merkt man diese Kluft, der diskursiven Überwindung des Patriarchats, aber seines faktischen Fortbestehens. In den Medien wird geschlechtersensible Sprache verwandt, es gibt Darstellungen von Gleichberechtigung, Transfrauen im Bundestag. Männer werden auch so großgezogen, sie dürfen tanzen und weinen, dürfen nicht übergriffig sein – aber auf der anderen Seite sind gesellschaftliche Erwartungen gleichgeblieben. Figuren wie Christiano Ronaldo oder Jerome Boateng werden immer noch hofiert, obwohl sie wegen Vergewaltigungsvorwürfen in der Kritik stehen.
Diese Diskrepanz zwischen den gesellschaftlichen Idealen und den ambivalenten Erwartungen an Männlichkeit vieler junger Männer führt zu Verunsicherung und bietet Nährboden für reaktionäre Ideologien. Junge Männer, die sich in einer sich schnell verändernden Welt nicht mehr zurechtfinden, suchen nach einfachen Antworten und starken Führern. Figuren wie Jordan Peterson oder Andrew Tate bieten ihnen diese scheinbar einfachen Lösungen an mit ihren konkreten Lebenshilfetipps.
Patrick Catuz
Du sagst ja, dass es für die Radikalisierung schon einen guten Nährboden in der Gesellschaft gab – du meinst, der Unterschied zwischen einem Incel und dem Durchschnittsmann sei nicht so groß, weil die Denke schon im herkömmlichen Bild von Männlichkeit angelegt ist.
Susanne Kaiser
Der Unterschied ist schon groß, aber nur graduell und nicht wesentlich. Sie sind ein männliches Extrem, dass immer noch im selben Bild existiert. Es geht um ein Männerbild von Überlegenheit und Kontrolle und auch darum, bestimmte Ansprüche zu haben, die mit Privilegien einhergehen, nämlich Aufmerksamkeit zu erhalten oder Zugang zu Frauenkörpern. Frauen sind auch viel weniger gewaltbereit. Sexuelle Gewalt ist ein größtenteils männliches Phänomen. Gleichzeitig tun wir so, als wären wir längst gleichberechtigt und als gäbe es dieses Machtgefälle nicht mehr. Es handelt sich immer noch um sehr unterschiedliche Lebensrealitäten.