Die Krise der Männlichkeit ist ein Narrativ, das in regelmäßigen Abständen wiederkehrt, ohne aber jemals einen Fortschritt zu bringen. Es geht also nicht darum, etwas Neues zu entwerfen, sondern zu sagen: Entweder wir kehren zurück zu traditionellen Rollenmustern oder wir schlittern in die Katastrophe. In vielen bekannten Filmen und Serien von Fightclub über Breaking Bad oder aber auch Romanen, kämpft sich ein Mann, der sich von der modernen Gesellschaft kastriert fühlt, zurück in die Männlichkeit – und löst dabei schon mal die eine oder andere Katastrophe aus, für seine Familie oder die Gesellschaft im Allgemeinen. Heute sind es Influencer wie Tate oder Peterson, denen Millionen orientierungsloser junger Männer folgen, die eine ähnliche Melodie spielen.
„Der Mann in der Krise“ heißt das Buch von Kulturtheoretikerin Ines Kappert. Ich habe mit ihr darüber gesprochen, warum es nach zehn Jahren kaum an Aktualität verloren hat – leider.
Der Mann in der Krise
Patrick Catuz
Dein Buch „Der Mann in der Krise“ behandelt popkulturelle Erzählungen so rund um das Millennium. Würdest du mal kurz erzählen, was damals Mann in der Krise oder Männlichkeit in der Krise bedeutete?
Ines Kappert
Ja, also ich habe mir zum Beispiel die Romane von Michel Houellebecq angesehen. Da war das Narrativ des Mannes in der Krise, dass er so unglücklich ist, dass er einfach gewalttätig werden muss, bzw. in Filmen wie in Fight Club sich eine Kampfkultur wieder aneignen muss. Das war der Weg raus aus der Bürokratisierung von Männlichkeit, aus dieser totalen Normierung in die Farblosigkeit, in die Leblosigkeit. Der moderne Mann versinkt dort in der Depression, auf dem Weg objektiviert er dann noch Frauen, beklagt sich darüber, dass Frauen als Sexobjekte nicht mehr zur Verfügung stehen. Am Ende leidet er, er ist das große Opfer muss sich zur Wehr setzen. Diese Männlichkeit wir dort als überhaupt nicht mehr überlebensfähig, nicht mehr anschlussfähig gezeichnet und das deckt sich überhaupt nicht mit empirischen Daten, die sagen, dass die Machtverhältnisse immer noch ganz klar auf Seiten der Männer sind.
Insofern gab es eigentlich erst mal gesamtgesellschaftlich keinen Hinweis auf die große männliche Depression.
Patrick Catuz
Mir hat „Fightclub“ damals als Teenager wahnsinnig gut gefallen – ich habe ehrlich gesagt den Kontext von Männlichkeit damals gar nicht gesehen, ich habe immer gedacht, das ist so dieses wehrhaft werden gegenüber dem Kapitalismus. Da ist mir erst bei deinem Buch so richtig ein Licht aufgegangen. Das ist ja auch da, aber du meintest schon damals, dass die Kapitalismuskritik darin eigentlich sehr konservativ ist. Was bedeutet das?
Ines Kappert
Was ist denn die Lösungsstrategie angesichts der erlebten Ausbeutung? Und das war eben nicht, sich ein anderes System zu überlegen, wo Ausbeutung einfach kleiner geschrieben oder vielleicht sogar utopisch überwunden wird, sondern es war: Eine andere Gruppe muss leiden. Also es war sozusagen „tribal“.
Patrick Catuz
Da hat sich ja wenig daran geändert – du könntest ja eine Fortsetzung schreiben, wenn du dir jetzt mal Sachen ansiehst, wie Breaking Bad, The Walking Dead oder Last of Us. Da haben wir jetzt ein bisschen so Männer zwischen Vaterschaft und ihren Verpflichtungen, aber die Verpflichtungen sind dann eben nicht die Vaterschaft – ihre gesellschaftliche Bürde eben dazu im Widerspruch. Hast du das Gefühl, wir treten auf der Stelle oder hat sich da schon was verändert in diesen Darstellungen?
Ines Kappert
Um 2000, wo es ja auch eine Ausdifferenzierung von Männlichkeit gab, wurde das mit gewissen Hoffnungen verknüpft. Die wurden nicht eingelöst. Das Thema Gewalt, das immer mit Männlichkeit geknüpft wird, steht auch in Breaking Bad im Zentrum steht der Identitätsfindung. Die Sache wird einfach nach wie vor gesamtgesellschaftlich und auch popkulturell nicht progressiv bearbeitet und keine anderen Konfliktbearbeitungsstrategien – noch nicht mal in der Popkultur – ausprobiert. Es geht in Katastrophenszenarien, in die Endszenarien, die ja gerade extrem kommerziell erfolgreich sind. Dann werden wir auch keine anderen Lösungsstrategien finden. Popkultur ist ein wichtiger Einflussfaktor für gesellschaftliche Entwicklungen.
Wenn man dann die Autoritarismus-Studie von 2022 nimmt, die in Deutschland Einstellungen abfragt und zeigt, dass 27% aller Deutschen ein geschlossenes antifeministisches Weltbild haben – also immerhin jeder vierte Mann und jede zehnte Frau denken, dass es Frauen übertreiben, ihren Platz nicht finden und es auch schon mal ok ist, Gewalt anzuwenden. Da haben wir offensichtlich noch eine sehr starke Neigung, auch einfach wieder zurückzukippen in Muster, die langjährig tradiert waren.
Patrick Catuz
Es wird bestimmt auch positive Beispiele geben, aber es scheint vor allem jungen Männern auch zu ganz archaische Erzählungen wie von Andrew Tate oder Jordan Peterson zu ziehen, die ja quasi auf dem Rücken einer Generation Teenager-Jungs und deren Sorgen berühmt geworden sind. Das sind jetzt extreme Beispiele, aber sowas hatten wir damals eigentlich noch nicht.
Ines Kappert
Ich bin mit dem Begriff des Backlash dennoch etwas vorsichtig. Das bedeutet immer, dass man wüsste, wohin es zurück ginge. Für eine Analyse, für eine analytische Perspektive, macht es mehr Sinn, sich bestimmte Faktoren anzusehen, was beispielsweise antifeministische Misogynie und militarisierte Männlichkeit angeht, um dann zu erkennen, ob es in Richtung Antidemokratie, Antidemokratisierung, Entdemokratisierung oder ähnliches geht.
Patrick Catuz
Heute versteckt man das nicht mehr in Kapitalismuskritik, heute kann man ja ganz offen Feindbildern wie Feminismus, die LGBTIQ-Bewegung, Flüchtlinge usw. bemühen. Da scheint der Kapitalismus als Ziel gar nicht mehr vorzukommen, oder?
Ines Kappert
Es gibt immer noch Kapitalismuskritik, ich habe schon den Eindruck, dass jetzt bei der Gruppe der 16- bis 22-Jährigen, auch in der sie sich jetzt etwa in der Fridays-for-Future-Bewegung engagieren, Antikapitalismus bzw. Kapitalismuskritik eine Rolle spielt. Das ist jetzt auch keine Nischenbewegung.
Patrick Catuz
Ich bin da auch nicht ganz pessimistisch, wenn ich mir die Jugend ansehe. Speziell habe ich das Gefühl, dass in LGBTIQ-Belangen ein massiver Sprung passiert ist, was da eine gewisse Akzeptanz betrifft. Aber gleichzeitig habe ich das Gefühl, dass Andrew Tate, der, der ja massiv Frauenhass propagiert und sich da als männlich inszeniert, oder auch Jordan Peterson, irgendwelche Krustentiere bemüht, egal wie sehr ihm Evolutionsbiologen widersprechen, massenhaft junge Männer anziehen.
Ines Kappert
Die Jugend ist nicht homogen. Die Generationenfrage zu bemühen bringt uns auch nicht viel. Man muss sich die politischen Strömungen ansehen, die da gegeneinander anstehen.
Patrick Catuz
Es ist ja irgendwie auch schade, man würde sich so gerne einfach auf die nächste Generation verlassen. Ich möchte aber nochmal zurück auf eine Idee, die du damals in unserem Gespräch formuliert hast, nämlich dass Männer im Bereich der Familie die größten Defizite haben.
Ines Kappert
Ich habe letztens gelesen, dass die Zahlen der Väterkarenz bei knapp unter 3 % sind und in den letzten Jahren waren sie sogar wieder rückläufig. Nicht mal 1 % der Männer geht mehr als sechs Monate in Karenz. Wo setzen wir also den Hebel an? Letztens war ich in der isländischen Botschaft eingeladen zum isländischen Frauentag. Die haben eine 50% Quote bei der Karenz, weil sie das daran gekoppelt haben, dass man eben nur die Karenzzeit bekommen, wenn beide Elternteile gleichlang in Elternzeit gehen. Der Plan ist also aufgegangen
Das ist immer noch ein guter Hebel – aber was ist während der Pandemie passiert? Die Jungs sind arbeiten gegangen, weil sie sowieso die besseren Jobs hatten und auch mehr unter Druck gesetzt wurden und die Frauen haben sich um die Kinder gekümmert und ihre Jobs verloren. Häusliche Gewalt hat in der Zeit stark zugenommen. Das haben wir nicht hingekriegt. Popkultur hilft uns da offensichtlich nicht ausreichend.