In unserer Gesellschaft existiert ein Männlichkeitsbild, das von Dominanz, Aggressivität und emotionaler Verschlossenheit geprägt ist. Dieses als „toxische Männlichkeit“ bezeichnete Phänomen schadet nicht nur anderen, sondern auch den Männern selbst.
Persönliche Abgründe: Was ist toxische Männlichkeit?
Der Begriff, der in den 1980er Jahren aufkam, gewinnt heute mehr denn je an Bedeutung in gesellschaftlichen Debatten. Zentrale Merkmale sind:
- Unterdrückung von Gefühlen (außer Wut und Aggression)
- Ablehnung von Schwäche und Hilfsbedürftigkeit
- Streben nach Dominanz
- Alles ist ein Wettbewerb
- Gewaltbereitschaft als legitime Konfliktlösungsstrategie
- Rigide Vorstellungen von „echtem“ Mannsein
- Abwertung von „unmännlich“ wahrgenommenen Eigenschaften und Personen
Die dunkle Seite: Folgen toxischer Männlichkeit
Die Auswirkungen für Männer, die auf die Bahn toxischer Männlichkeit geraten, sind weitreichend:
- Vermehrte psychische Erkrankungen
- Soziale Isolation
- Suchtproblematiken
- Arbeitssucht bis zum Burnout
- Schwierigkeiten, Hilfe anzunehmen (auch medizinisch, bzw. therapeutisch)
- Höhere Suizidraten
Wichtig ist aber auch die Auseinandersetzung mit Kritik am Konzept. Der Begriff könnte Männlichkeit generell stigmatisieren, er wird zu einem Slogan in Sozialen Medien, der in schwarz-weiß Sicht ohne Differenzierung unnötig antagonisiert. Außerdem werden strukturelle Probleme werden möglicherweise zu stark individualisiert und komplexe externe Ursachen könnten übersehen werden, die außerdem nicht ausschließlich in der Hand der Einzelpersonen liegen. Toxische Männlichkeit ist nicht immer eine Wahl und sollte ein kritisches Konzept sein, um die Gesellschaft zu verändern und nicht einfach ein Label, um problematische Männer zu brandmarken – selbst wenn sie dies verdient haben, ist das etwas zu wenig.
Gesellschaftliche Tragweite: Der Wert des Mannes
Der Zusammenhang mit größeren Strukturen ist bedeutsam. Das hat damit zu tun, dass Männer nur wertvoll sind, wenn sie einen gewissen Status erlangen, Geld oder Macht haben. Um diesen zu erlangen, müssen sie sich einem Wettbewerb stellen, sich durchsetzen. Die neoliberale Wettbewerbsideologie verstärkt also toxische Verhaltenmuster. Auch Medien und Werbung reproduzieren problematische Männlichkeitsbilder und Schulen werden zu Orten, wo toxische Männlichkeit früh eingeübt wird. Soziale Medien verschärfen den Druck durch öffentliche Zurschaustellung und Inszenierung von toxischer Männlichkeit als Erfolgsmuster – vor allem aber als Ausweg für Männer, die sich nicht wertgeschätzt, also sozusagen als Verlierer bewertet sehen. Wenn sie am Ziel Status scheitern, eben keinen persönlichen oder gesellschaftlichen Wert wie etwa durch Empathie, Care-Arbeit, Familie, Beziehungen oder ähnliches erlangen können, ist das eine Kränkung, die aufgrund der starken identifikatorischen Komponente als sehr gefährlich wahrgenommen wird. Der große Zulauf von Heilsversprechern wie Tate oder Peterson lässt sich darüber erklären, dass sie diesen Männern zu ihrem eigenen persönlichen Vorteil Feindbilder anbieten und einfache Lösungen vorschlagen.
Wir sollten uns mit folgenden Fragen beschäftigen:
- Wie können wir gesunde Männlichkeitsbilder fördern?
- Welche Aspekte traditioneller Männlichkeit sind vielleicht auch brauchbar?
- Welche Rolle spielen Erziehung und Bildung bei der Prävention?
- Wie lässt sich der gesellschaftliche Dialog konstruktiv gestalten?
- Welche Konzepte von Männlichkeit sind zukunftsfähig?
Brauchen wir neue Männer oder einfach neue Wege?
Es liegt an uns allen, dabei auch an uns Männern selbst, toxische Männlichkeitsmuster zu erkennen und aufzubrechen. Männer brauchen Räume, in denen sie verletzlich sein dürfen, in denen Gefühle willkommen sind und Hilfe keine Schwäche bedeutet (hier ist der „male tears“ Joke vom Netzfeminismus über jammernde Machos vielleicht ein wenig kontraproduktiv). Lasst uns gemeinsam eine Gesellschaft gestalten, in der verschiedene Formen von Männlichkeit nebeneinander existieren können – frei von starren Rollenbildern und schädlichen Erwartungen. Denn am Ende profitieren alle von einer Welt, in der Menschen – egal welchen Geschlechts – ihr volles emotionales und soziales Potenzial leben können. Der erste Schritt ist das Gespräch darüber: offen, ehrlich und ohne Vorverurteilung.