Männerprobleme: Männer kosten uns jährlich 63,5 Mrd €

Männer halten sich für die besseren Autofahrer, machen sogar Witze über Frauen am Steuer. Dabei ist der Schaden, den männliches Fehlverhalten jährlich verursacht ein Vielfaches höher. Männer verursachen wesentlich mehr Unfälle, dabei doppelt so viele Schäden, sind fast viermal so häufig Raser, fünfmal häufiger bei Unfällen unter Alkoholeinfluss als Frauen. Das ist aber nur der Straßenverkehr, es ist noch nicht alles: Männer sind über 70% der Alkoholkranken, essen mehr Fleisch, sind öfter übergewichtig, haben mehr Diabetes oder Herzkrankheiten, leben in der Folge 5 Jahre kürzer. Männer begehen 75% der Suizide, weil sie sich seltener Hilfe suchen und in der Statistik über Depressionen genauso wie beim Therapeuten erst gar nicht auftauchen. Und bald wird es schon zu einer veritablen gesellschaftlichen Männerkrise, denn sie sind auch öfter kriminell: Fast 94% der Insassen, 87% des schweren Diebstahls, 89% von Mord und Totschlag, 90% der rechtsextremen Straftaten gehen auf das Konto von Männern. Dabei entstehen laut Boris von Heesen jährlich in Deutschland Schäden von 63 Milliarden Euro. Jungs, was ist los mit uns?

Männerprobleme

In seinem Buch „Was Männer Kosten“ hat Boris von Heesen zusammengetragen, was uns männliches Fehlverhalten, sogenannte toxische Männlichkeit, jedes Jahr kostet. Es ist ein Preis den wir alle bezahlen und er kommt ganz ohne Schätzungen allein auf satte 63,5 Mrd €.

Patrick Catuz

Mich hat an diesen ganzen Statistiken einfach sehr erschreckt, wie die Kriminalitätsstatistik zunächst mal aussieht. Also mir war das nicht so klar: Je schwerer die Delikte, umso mehr Männer, fast alle Insassen, auch mit einer hohen Rückfälligkeitsquote. Hat die Gesellschaft gewissermaßen ein Männerproblem?

Boris von Heesen

Ich würde auf alle Fälle sagen, dass sie ein Männerproblem hat. Und die Männer haben auch mit sich selbst ein Problem, weil die Opfer von Gewalttaten auch wieder in der Mehrheit Männer sind. Ungesundes männliches Verhalten durchzieht alle gesellschaftlichen Schichten. Das bildet sich ab in der Wirtschaftskriminalität, im Straßenverkehr, da sind alle Gesellschaftsschichten vertreten. 

Patrick Catuz

Wie eklatant der Anteil an Männern ist – ich meine, da geht es ja teilweise über 90%, teilweise an die 100%. Dass Kriminalität männlich ist, ist dabei offensichtlich, und darüber möchten viele aber nicht sprechen. 

Boris von Heesen

Genau das habe ich erlebt, tatsächlich auch in der Politik erlebt. Da kommt genau dieser Reflex, den du eben erwähnt hast. Aber ungesundes männliches Verhalten fängt damit an, dass ich laut bin, andere unterbreche, anschreie, immer glaube, das letzte Wort haben zu müssen oder schlauer zu sein als jemand anders in der Runde, versuchen muss, andere zu dominieren. Wenn ich kein gesundes Korrektiv in meinem Leben habe, kann es in diese Statistiken führen, und das bei allen gesellschaftlichen Schichten.

Patrick Catuz

Warum haben wir eigentlich diese Schieflage? Also warum ist Männerkriminalität so eklatant viel höher? Was führt Männer mehr in die Kriminalität als Frauen?

Boris von Heesen

Meine These ist, dass die Gesellschaft einen sehr großen Einfluss hat. Es ist die Art und Weise, wie wir geprägt werden als Junge, als Mädchen, als Mensch in dieser Gesellschaft, die immer noch dazu führt, dass wir uns bestimmte Verhaltensweisen aneignen. Diese Sozialisation, immer stark zu sein, sich durchzusetzen, die Ellbogen auszufahren, führt Schritt für Schritt ganz langsam dazu, von meinen eigenen Gefühlen abgetrennt zu werden. Ich spüre dann nicht mehr, wenn ich Angst habe, wenn ich unsicher bin, wenn ich Trauer empfinde. Dann spüren sie auch nicht, wie es anderen geht, und im schlimmsten Fall kann es dann in Straftaten münden.

Patrick Catuz

Nach dem gesellschaftlichen Klischee gelten ja eigentlich Frauen als das emotionale Geschlecht – offensichtlich haben Männer ihre Gefühle aber weniger im Griff. Männer haben schon Probleme dabei, Gefühle überhaupt zu erkennen?

Boris von Heesen

Alle Menschen haben ein bestimmtes Set an Gefühlen, mit dem sind wir ausgestattet. Frauen sind schon früh, Mädchen sind schon viel früher sozialisiert, in Gruppen zu arbeiten, im Team zu arbeiten, sich auszutauschen, Dinge zu besprechen. Bei Männern wird es schrittweise zurückgedrängt. Also die Gefühle sind da, aber sie sind bei den Männern einfach verschüttet worden. 

Patrick Catuz

Männliche Gewalt spielt sich sehr oft im familiären Rahmen ab oder in Beziehungen. Warum werden Männer ausgerechnet gegenüber ihren Liebsten gewalttätig?

Boris von Heesen

Wenn du die deutsche Kriminalstatistik anschaust, fast ein Viertel aller Straftaten finden hinter den verschlossenen Türen der Kleinfamilie statt. Ich glaube, in den meisten Fällen entsteht diese Gewalt durch Überforderung, durch Angst, dass die Frau vielleicht mehr weiß, mehr kann, den Mann argumentativ in die Ecke drängt. Jetzt hat der Mann aber Rollenstereotype gelernt: Ich muss stark sein, ich muss dominant sein. Jetzt kommt diese Frau, die mir unterworfen sein soll – und die erklärt mir jetzt die Welt. Das entlädt sich dann in Partnerschaftsgewalt. Da ist viel gesellschaftlicher Druck dahinter, eine bestimmte Rolle auszufüllen. Die kann ich aber dann nicht mehr ausfüllen, der werde ich nicht mehr gerecht, und dann entlädt sich das dann in Gewalt.

Patrick Catuz

Der Hintergrund dieses Verhaltens bei Männern ist also eigentlich gar nicht so sehr eine ungebändigte Wut ist, sondern eher eine Angst oder eine Überforderung, die dann darin umschlägt?

Boris von Heesen

Die Quelle ist häufig Unsicherheit und Angst. Natürlich nicht immer, aber es ist einfach häufig so. Ganz viele Männer sehen sich mit einem großen Wandel in der Gesellschaft konfrontiert. Gewohnt sind sie, immer der Laute, Starke zu sein, zumindest gegenüber den Frauen. Plötzlich ändert sich das Bild, und Frauen treten für sich ein, die gleichen Rechte zu haben, also auf Augenhöhe zu sein. Das entlädt sich dann z.B. in Hass im Netz. Da sind die Opfer zu 80% Frauen. Es entlädt sich im Schutz der Anonymität in diesen entsprechenden Kommentarspalten oder mit irgendwelchen Mails.

Patrick Catuz

Im Buch stellst du eine Verbindung her zwischen diesen Problemen mit der Gefühlswelt und Suchterkrankungen, von denen ja auch Männer sehr stark betroffen sind. Wie erklärst du dir das? 

Boris von Heesen

Das eine ist, dass da Angst, Unsicherheit, Trauer ist. Die Gefühle kann man versuchen zu unterdrücken, sie kommen aber immer wieder hoch. Da helfen Alkohol, illegale Drogen oder auch Glücksspiel, diese Gefühle wegzudrücken. Das treibt Männer stärker in die Sucht. Und natürlich auch dieser enorme Druck, bestimmten Bildern von Männlichkeit gerecht zu werden. Erst mit Alkohol beispielsweise trauen sich manche jungen Männer besonders laut zu sein, besonders risikofreudig zu sein – erst dann kann ich sehr provozieren, einer jungen Frau hinterherpfeifen oder ihr sogar auf den Hintern klatschen und mich männlich fühlen. Da hilft also dann die Droge, um dieses Bild von Männlichkeit herzustellen.

Patrick Catuz

Bei Frauen werden Depressionen doppelt so häufig diagnostiziert, Männer bringen sich aber fünfmal häufiger um. Woran liegt das?

Boris von Heesen

Ich vertrete die These: Menschen beider Geschlechter erkranken gleich häufig an Depression, nur Frauen holen sich durch ihre Sozialisation Hilfe, sprechen darüber, werden von irgendjemanden an Therapeuten vermittelt und Männer machen das nicht, die drücken das erstmal viel länger weg. Depression sind weiblich konnotiert – da hat man als Mann eher mal ein Burnout und bis man dann tatsächlich eine richtige Diagnose hat, vergeht ganz viel Zeit. Da wird viel zu wenig nach Geschlecht differenziert. 

Die Ursache ist natürlich auch wieder, dass Männer nicht lernen, sich Hilfe zu holen, nicht lernen, dass es einfach Teil unseres Lebens sein kann, dass nicht nur der Körper sich verletzt, sondern dass auch meine Seele verletzt sein kann und dass es dann normal sein sollte, sich Hilfe zu holen. Da sind wir ganz stark beim Thema Rollenstereotype, die die Wahrnehmung von Jungen und Männern prägen.

Patrick Catuz

Wie kann man diesen Männern helfen? 

Boris von Heesen

Ich glaube, dass wir viel geschlechterreflektierter vorgehen müssen, dass wir den Bedürfnissen von Männern und Frauen entsprechend unterschiedlich agieren mssen. Und dann glaube ich, dass wir eine entsprechende Kommunikation brauchen in der Ansprache von Männern, wenn es darum geht, Gesundheit zu thematisiere. Wie gehe ich mit meinem Körper um, wie gehe ich mit meiner Seele um? Das ist bei Männern sehr schwach ausgeprägt.

Das sind alles Dinge, die wir schnell machen können. Das, was am längsten dauert, ist natürlich an diese Rollenstereotype ranzugehen, dass das alles Schritt für Schritt aufgebrochen wird und für die nächsten Generationen leichter wird.

Patrick Catuz

Was ist mit den Männern, die wir schon haben? Ist denen noch zu helfen? 

Boris von Heesen

Auf alle Fälle. Es geht hier darum, dass es allen Mitgliedern der Gesellschaft besser geht – den Frauen, den Kindern, und auch den Männern.