Der Begriff der „toxischen Männlichkeit“ ist in aller Munde. #Aufschrei und #metoo haben eine Welle problematischen männlichen Verhaltens in das Bewusstsein der Öffentlichkeit gespült. Gleichzeitig scheint der Begriff sogar bei progressiveren Männern Abwehrreaktionen hervorzurufen. Ein Gespräch mit Irina, alias „Toxische Pommes“, Juristin, Influencerin und Kabarettistin, darüber, was „toxisch“ bedeutet, die Inspirationen für ihre Clips und über die reinigende Kraft der Öffentlichkeit.
Patrick Catuz
Juristin und Kabarettistin, was für eine Kombination! Du nennst dich „toxische Pommes“, woher kommt es das?
Toxische Pommes
Das hat nichts mit toxisch maskulinen Verhalten zu tun, es kommt daher, dass ich in einer toxischen Beziehung war und Pommes mag.
Patrick Catuz
Es passt wahrscheinlich in eine Zeit, in der das Wort „toxisch“ oft aufgetaucht ist und sehr viel als toxisch bezeichnet wurde.
Toxische Pommes
Definitiv, wahrscheinlich ist mir auch deshalb dieser Begriff in den Sinn gekommen, aber ich hab einfach einen Nutzernamen gebraucht, da ist keine große Philosophie dahinter
Patrick Catuz
Was bedeutet toxisch?
Toxische Pommes
Gute Frage, kann ich sie an dich zurückspielen?
Patrick Catuz
Ich habe das Gefühl, dass es zu einer Art Sammelbegriff wurde, von allem was man irgendwie ein bisschen als schädlich, negativ oder destruktiv bezeichnen möchte. Dann gab es eine Zeit, da wurde dann sehr viel so etikettiert
Toxische Pommes
Ich habe auch das Gefühl, dass teilweise der Begriff auch inflationär genutzt wird. Aber so wie ich den Begriff verstehe ist, geht es um toxisch maskulines Verhalten, dem eine Art Anspruchsdenken irgendwie innewohnt, dass Männer in einer Form mehr wert wären als andere Menschen.
Das Verhalten das sich daraus manifestiert, kann in ganz unterschiedlichen Erscheinungsformen auftreten.
Patrick Catuz
Was kann man sich darunter vorstellen?
Toxische Pommes
Ich würde jetzt nicht nur sagen gegenüber Frauen gegenüber, auch anderen marginalisierten Gruppen gegenüber, irgendwie allem was, jetzt nicht unbedingt der Norm des Cis-Mannes entspricht. Aber weil du meintest, dass der Begriff Abwehrreaktionen hervorruft, das mag an der Assoziation liegen, dass Männlichkeit an sich toxisch sei. Es ist wichtig zu sagen, dass es dabei nicht um Männlichkeit an sich geht. Ich kann im ersten Moment verstehen, dass man sich angegriffen fühlt, wenn der Eindruck entsteht, die eigene Identität wäre toxisch, weil man einer bestimmten sozialen Gruppe angehört. Aber so ist es ja nicht gemeint.
Ich habe auch den Eindruck, dass ich selbst manchmal toxisch maskulines Verhalten zeige.
Patrick Catuz
Ich glaube ich habe noch nie von einer Frau gehört, dass sie das über sich selbst sagt, dass man sich als Frau hinterfragt, welche toxisch männlichen Denk- oder Verhaltensweisen man zeigt.
Toxische Pommes
Ich habe definitiv das Gefühl, dass ich selbst auch immer wieder solche Verhaltensweisen an mir habe, die mich genau an das erinnern, worüber wir gerade sprechen.
Patrick Catuz
Du machst auf TikTok kurze Clips, Inszenierungen oder Sketches – tut mir leid, dass ist jetzt eine sehr langweilige Art etwas sehr Lustiges zu bezeichnen. Wie würdest du beschreiben, was du machst?
Toxische Pommes
Eigentlich eh genau so, ich sage meistens, dass ich kurze humoristische Videos mache – zumindest wünsche ich mir, dass sie humoristisch ankommen, ob das klappt, ist dann eine andere Frage, aber es ist auf jeden Fall meine Intention. Sie beinhalten oft eine Satire auf gesellschaftliche Themen. Es kommt aus persönlichen Beobachtungen. Vor allem zu Beginne sind persönliche Erfahrungen noch stark eingeflossen. Ich bin davon ausgegangen und habe immer eine kleine Geschichte geformt, mir eine Szene überlegt. Ich übertreibe das natürlich, überspitze Dinge, stelle sie etwas pointierter dar oder karikiere sie. Im Kern ist aber oft etwas, das ich persönlich erlebt habe.
Patrick Catuz
Sind Erfahrungen mit toxisch männlichem Verhalten für Frauen etwas Alltägliches?
Toxische Pommes
Es kommt auch darauf an, wo man sich bewegt, ich habe mir ja einen Freundeskreis aufgebaut, in dem ich mich sicher fühle. Je älter ich werde, desto klarer ziehe ich auch Grenzen. Aber man kommt leider nicht ganz umhin, manche Erfahrungen zu machen, sei es in Settings wie der Arbeit, auf der Straße, beim Fortgehen
Patrick Catuz
Ich war nach #metoo sehr erstaunt, wie viele Freundinnen mir erzählt haben, wie häufig so etwas passiert, dass manche Erfahrungen eigentlich schon in der Pubertät beginnen. Das kann man sich als Mann gar nicht vorstellen, als würde man sich in einer anderen Welt bewegen.
Toxische Pommes
Man wird mit anderen Augen gesehen und sieht auch die Welt mit anderen Augen. Ich denke das jetzt nicht streng binär, das ist auch für Menschen anderer Gruppen ähnlich. Ich konnte viele Erlebnisse aus meiner Pubertät auch erst später einordnen und erst später darauf gekommen, dass das nicht für alle so ist. Da haben Cis-Männer ganz andere Voraussetzungen.
Patrick Catuz
Ein plakatives Beispiel wäre, das nachhause kommen in der Nacht. Wenn Frauen zum Beispiel versuchen in der U-Bahn in einen Wagen mit anderen Menschen einzusteigen, damit sie nicht allein sind, und ich würde eher einen nehmen, wo niemand ist. Oder dunkle Gassen zu meiden. Mir war es schon als Teenager egal, wo ich mit 16 oder 17 betrunken nachhause torkle. Da habe ich nie darüber nachgedacht, ob da etwas passieren könnte.
Toxische Pommes
Es ist dann nochmal ganz anders, wenn noch andere Diskriminierungsmerkmale hinzukommen, wie Migrationshintergrund, Hautfarbe, ethnische Zugehörigkeit. Es führt zu einer anderen Wahrnehmung der Welt und einer anderen Fremdwahrnehmung.
Patrick Catuz
Ich habe ein wenig länger gebraucht als die meisten, um TikTok zu entdecken. Bei den ersten Sachen, die du gepostet hast, habe ich in deinen Stories oft wahrgenommen, dass du da nicht immer fiktionalisiert hast, sondern auch von eigenen Erfahrungen direkt erzählt hast. Was hat dich dazu bewegt, das zu teilen?
Toxische Pommes
Oft tut es gut, sich Dinge von der Seele zu reden, etwas in Worte zu fassen. Es hat etwas Klärendes oder Reinigendes. Es ist eine schöne Erfahrung, wenn man bei Erlebnissen, bei denen einem etwas passiert ist, sich vielleicht als Opfer fühlt, dann die Situation selbst in die Hand nehmen kann. Es kann bestärken, man kann das Gefühl der Kontrolle über das eigene Leben zurückerlangen. Es kann auch guttun, wenn dann Menschen antworten und erzählen, dass ihnen ähnliche Dinge passiert sind. Es ist sehr schön, wenn man sich da emotional verbinden kann, so pathetisch das jetzt vielleicht auch klingt.
Patrick Catuz
Bei vielen Stories ging es um problematisches Verhalten im Kontext von Dating. Ist das ein Kontext, in dem sich Männer besonders negativ auszeichnen können?
Toxische Pommes
Dating ist ein vulnerables Feld, man zeigt eine gewisse Offenheit, auch Verletzlichkeit, da kann viel passieren.
Patrick Catuz
Du interpretierst es als Situationen, in denen einfacher Reibungspunkte entstehen können? Ich habe mich gefragt, ob es vielleicht die Sache ist, wo Männer die größten Defizite haben. Ich habe in meinem Leben sowohl Männer als auch Frauen gedatet. Ich habe da viele aggressive Männer erlebt, die unangenehm werden, wie ich es von Frauen in dem Kontext nicht so kenne. Also Männer können das auch außerhalb des heterosexuellen Kontextes recht gut.
Toxische Pommes
Ich möchte jetzt nicht toxisch maskulines Verhalten rechtfertigen, aber ich habe auch beim Dating mit Frauen wirklich übergriffige Sachen erlebt. Ich habe da auch sehr gemischte Erfahrungen gemacht.
Patrick Catuz
Hast du wahrgenommen, dass sich mit dem Bekanntheitsgrad etwas verändert hat? Ich habe beispielsweise persönlich eher Aufmerksamkeit über klassische Medien, mit der Aufmerksamkeit kommen dann manchmal auch komische Nachrichten von Männern wie Frauen – aber ich habe dennoch den Eindruck, dass es weniger ist, als bei Frauen, die gar nicht in der Öffentlichkeit stehen. Ist es als Frau in der Öffentlichkeit weiter verschärft?
Toxische Pommes
Das was am öftesten passiert ist einfach Mansplaining. Ich meine herablassenden Kommentare, die sich als Komplimente tarnen, aber eigentlich beleidigend sind. Ich freue mich eigentlich über Kritik, wenn sie nicht respektlos formuliert ist. Das ist ja etwas Tolles. Wenn es abfällig wird, ist es nicht so schön. Da meinen Männern, sie könnten das viel besser, aber machen es nicht, weil sie Besseres zu tun hätten.
Patrick Catuz
Ich finde es krass, dass Männer meinen, dir auf einem Feld, auf dem du sehr erfolgreich bist, gute Ratschläge geben zu können.
Toxische Pommes
Es geht eigentlich gar nicht darum, dass es Ratschläge sind, es ist diese abfällige Komponente, die unangenehm ist. Ich finde Kritik per se gut, meist bekommt man die ja nicht bzw. nur in Form eines Unfollow. Es ist schwierig gute Kritik zu erhalten. Es ist gut, wenn sich Menschen die Mühe machen, etwas zurück zu melden. Oft ist es ja auch konstruktiv.
Doch manchmal ist es so, dass man zu etwas forscht, ein Doktorat gemacht, da kommt ein Typ, der damit überhaupt nichts zu tun hat und etwas ganz Anderes macht, aber trotzdem denkt, er könnte einem etwas dazu erklären. Was er dann erklärt sind oft absolute Basics und dann kommt noch eine Buchempfehlung in so einem abfälligen Ton. Es ist aber auch nicht immer eindeutig und manchmal hat man es mit Nuancen zu tun.
Letztens war es ein Student der TU Wien, der nichts mit Rechtswissenschaften zu tun hat und etwas über Recht in einer Einführungsvorlesung gehört hat, erklärt, dass etwas an meiner Doktorarbeit falsch ist. Er hat einen einsemestrigen Kurs gemacht.
Patrick Catuz
Wenn jemand kommt mit „hey du hast zwar einen PhD, aber ich habe gerade diesen Wiki Artikel dazu gelesen und erkläre dir jetzt mal dein Spezialgebiet,“ dann ist es schon sehr offensichtlich. Wie kommt der überhaupt auf die Idee – da muss man schon einen starken eigenen Anspruch haben, Dinge als Mann besser wissen zu müssen.
Toxische Pommes
Es muss ja sehr frustrierend sein, wenn ich immer diesen Anspruch habe, alles besser verstehen zu müssen. Ich rede auch irrsinnig gerne und erkläre gerne Dinge und rede mich in einen Strudel, vor allem bei meinen Fachthemen – aber wenn man weiß, dass sich jemand besser auskennt, verstehe ich das absolut nicht.
Patrick Catuz
Ich habe auch mal Stories von dir gesehen, wo du öffentlich darüber gesprochen hast, dass sich ein bekannter Radiomoderator übergriffig oder falsch verhalten hat. Das hat ja auch mit einem gewissen Risiko zu tun, man ist in einem Bereich beruflich aktiv, das sind Leute, die bekannt sind, in gewisser Weise auch Macht haben oder Öffentlichkeit. Hatte diese Story irgendwelche Konsequenzen?
Toxische Pommes
Das war eine große Sache für mich. Ich habe merkwürdige Sprachnachrichten von diesem Moderator bekommen, den ich persönlich gar nicht kenne – ich kannte nur den Namen. Er hat mich aus dem Nichts kontaktiert. Ich habe das dann in einer Story geteilt und wirklich unzählige Nachrichten bekommen von in erster Linie jungen Frauen, die sofort wussten, um wen es sich handelt und mir die wildesten Geschichten erzählt haben, wirklich krasse, schlimme Geschichten. Das hat mich erst mal sehr überfordert, weil ich nicht wusste, wie ich reagieren soll. Ich habe vor solchen Dingen auch etwas Angst, wenn man bedenkt, was Sigi Maurer in dieser Craft-Beer-Causa passiert ist.
Patrick Catuz
Sie musste sich dann alle Mutmaßungen und ein unangenehmes Gerichtsverfahren antun bei so etwas und einem Typen, der, wie sich später herausgestellt hat, auch großes Gewaltpotenzial hatte. Ich finde es sehr couragiert und positiv, auf solche Dinge hinzuweisen, ich stelle es mir nur auch schwierig vor, man hält da ja auch etwas den Kopf hin.
Toxische Pommes
Ich bin einfach sehr vorsichtig mit persönlichen Informationen in einer größeren Öffentlichkeit. Die Sekunde, in der man etwas in das Netz stellt, verliert man die Kontrolle. Das versuche ich mir stets in Erinnerung zu rufen.
Patrick Catuz
Sind Männer ein hoffnungsloser Fall?
Toxische Pommes
[schmunzeld] Nein, ich glaube nicht. Männer sind leiwand.
Patrick Catuz
[lacht] Die Hoffnung stirbt zuletzt!